Händigkeit, Augendominanz und Hörlateralität ...

 

"Die große flexible Anpassungsfähigkeit der meisten Linkshänder an die rechte Welt ist aber nicht ganz folgenlos für das Gelingen einer gesunden psychischen und motorischen Entwicklung und oft mit einer Labilisierung und Irritation des Nervensystems verbunden."

 

"Erst durch die Umschulung und Fehlanpassung eines Linksseitigen kann aus der Linkspräferenz ein sehr schwieriges pädagogisches Problem und ärztliche oder psychologische Hilfe notwendig werden."

Dr. Hannelore Pester

 

Unsere beiden Großhirnhemisphären sind nicht gleich, nicht 'spiegelbildlich' zueinander. So werden z. B. motorische und sensorische Fähigkeiten oft 'über Kreuz' vermittelt, d. h., dass die linke Gehirnhälfte die rechte Körperseite kontrolliert - und umgekehrt.

 

Meist hat jeder von uns eine dominante Hand, ein führendes Auge, Ohr, Bein. 

(-> Sog. 'Hemisphärenasymmetrie')

 

Meist kontrolliert die linke Hemispäre die Sprache und steuert auch die - dominante - rechte Hand. Man fragt inzwischen, ob die Dominanz der linken Hemispäre eher auf 'motorischen Fähigkeiten' beruht.

Auch der 'Balken' (= Corpus callosum), die Verbindung zwischen beiden Großhirnhälften, spielt hier wohl eine wichtige Rolle. Linksveranlagte Kinder brauchen länger für den Aufbau von Laut- und Schriftsprache, und dies kann mit einer verzögerten Reifung des 'Balkens' zusammenhängen.

 

-> Frage: Wie bildet sich eigentlich das 'Corpus callosum'*? Von sich aus - 'physiologisch' - oder erst durch entsprechende Erfahrungen, also 'Sinnesreize', 'Sinneseindrücke'? 

* Der 'Balken' besteht aus sog. 'Kommisurenbahnen', also Nervenbahnen der weißen Substanz, die 'identische Stellen' beider Gehirnhälften verbinden ...

 

-> Inzwischen habe ich eine Antwort auf meine Frage gefunden:

Siehe 'Diplomarbeiten etc: Interindividuelle Variabilität ... des Corpus callosum' und

'Praxie, Dyspraxie und Apraxie bei Kindern' (S. 96: Beidhandkoordination und Corpus callosum)

 

Forscher fanden inzwischen auch heraus, dass es bei Ausfällen in der linken Hemisphäre zu einem Kontrollverlust über die Steuerung der Mundmuskulatur und der Handmuskulatur kommt, und deshalb vermuten die Forscher, dass die linke Hemispäre - im Ggs. zur rechten - auf die motorische Kontrolle dieser Funktionen spezialisiert ist - und zwar unabhängig von 'Sprache' bzw. 'Sprachmotorik'.

 

Man vermutet auch, dass die linke Gehirnhälfte - und das rechte Ohr - entscheidend beteiligt sind am sprachlichen Ausdruck (-> Sprechen und Schreiben) - und auch an der 'Aufnahme- und Verarbeitungsgeschwindigkeit'.

 

-> "Offenbar kann die linke Hemisphäre v. a. bei den Rechtshändern die sich schnell verändernden Informationen besser verarbeiten ..."

 

Man hat auch herausgefunden, dass Linkshänder Sprache größtenteils 'bilateral', also in beiden Hemisphären, organisieren können.

 

Linksseitigkeit und Sprachentwicklungsverzögerungen

 

Kinder haben oft zentrale Hörwahrnehmungs- und Hörverarbeitungsstörungen und fallen oft auf, weil sie nicht auf Ansprache reagieren und oft geistesabwesend wirken. Sie sind geräuschempfindlich und lassen sich auch durch leise Geräusche ablenken. Ihre Aussprache klingt 'verwaschen', wenn sie unter Belastung stehen. Sie können sich oft nur für kurze Zeit konzentrieren, verstehen Fragen oder Arbeitsanweisungen oft falsch, können sie nicht ausführen. Ihre Haltung kann schlaff, aber auch verkrampft sein. Hinzu kommen noch unkoordinierte Körperbewegungen und Gleichgewichtsprobleme ...

 

Augendominanz und Hörlateralität

 

Bei 'Linksveranlagten' kann es zu einem 'Wegbrechen der Sensorik' kommen, besonders im Alter von

10 - 12 Jahren. Einfache Seh- und Hörleistungen können nicht erbracht werden, da willkürliche Blicksteuerung beim Lesen und Schreiben, Hören und 'Horchen' und Aufmerksamkeitssteuerung noch nicht vollständig geleistet werden können. Man vermutet, dass Linkshänder 'Spätentwickler' sind - und ein anderes 'Entwicklungstempo' in ihren 'Reifungsprozessen' haben.

 

-> "Das Erscheinungsbild der zentralen Hör- und Sehverarbeitungsstörungen sowie der Konzentrations-, Gedächtnis- und Sprachstörungen und der emotionalen Instabilität ... scheint fast identisch zu sein mit dem eines ADS-Veranlagten (ADS = Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom)."

 

 

Linksseitigkeit im Spannungsfeld zwischen Normalität und 'Behinderung'

 

'Rechtsseitige' Menschen sind im Vorteil, da das rechte Ohr einen besseren Zugriff hat auf 'sein' gegenüberliegendes 'analytisch arbeitendes Sprachhirn'.

 

Wenn ich es richtig verstehe, so heißt das, dass bei 'Rechtsseitigen' auch das rechte Ohr verstärkt eingesetzt wird - und umgekehrt. Es heißt nämlich weiter, dass 'linksohrige' Kinder spätestens beim Sprechenlernen ihr 'rechtes Ohr' verstärkt einsetzen müssten, um Sprache deutlicher und schneller zu verstehen und auch nachsprechen zu können.

 

Und dass aber ein 'Umtrainieren' keinen Erfolg auf Dauer hat ...

 

Und dass 'Linksveranlagte' in ihrer 'Hemisphärenspezialisierung' behindert oder gar blockiert sind:

Auditive und visuelle Wahrnehmungsstörungen, binokulare Fusionsstörungen*, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen.

 

Mit weitreichenden Folgen für ihre gesamte Persönlichkeitsentwicklung ...

 

* Beidäugiges Sehen: Verschmelzen der Netzhautbilder aus beiden Augen zu einem 'gemeinsamen' Bild ...

 

"Es wäre generell wünschenswert, mehr Toleranz und Verständnis allen individuellen Abweichungen von einer sogenannten 'Norm' entgegenzubringen und die besonderen Begabungen und Stärken eines jeden Menschen zu achten und durch multisensorische, kooperative und arbeitsseitige Angebote mehr zu berücksichtigen und zu nutzen."

Dr. Hannelore Pester

 

 

 

Quelle und zum Weiterlesen:

Vortrag auf dem Bundeskongress der Schulpsychologen am 12.10.2000 in Berlin

 

-> Siehe: 'Diplomarbeiten etc.: Linksseitigkeit im Spannungsfeld zwischen Begabung und Schulschwierigkeiten'

 

 

Nach oben