Nur einfach anders …
Das Asperger-Syndrom
Der Schweizer Psychiater Eugen Bleuler hat den Begriff „Autismus“ 1911 geprägt. Er sah in ihm ein Grundsymptom der Schizophrenie - die Zurückgezogenheit in die innere Gedankenwelt des "Betroffenen". Hans Asperger (1938 bzw. 1944) und Leo Kanner (1943) nahmen diesen Begriff – unabhängig voneinander – auf und beschrieben den Zustand der „Zurückgezogenheit“ als „tiefgreifende Entwicklungsstörung“, die von Geburt an bestehen (als sog. Frühkindlicher oder Kanner-Autismus), oder sich erst im Schulalter zeigen könne.1
Die englische Psychologin Lorna Wing - selbst Mutter eines autistischen Kindes - hat sich mit den Arbeiten von Hans Asperger befasst und in den 1980er Jahren die Bezeichnung „Asperger-Syndrom“ eingeführt. Aber erst in den 1990er Jahren wurden seine Forschungsarbeiten in weiten Fachkreisen bekannt.
Was ist das „Asperger-Syndrom“?
Es gehört zum sog. „Autismus-Spektrum“. Menschen mit Asperger-Syndrom gelten als Exzentriker, zerstreute Professoren, Einzelgänger, Eigenbrötler, schüchtern, komisch, „von einem anderen Planeten“ – und werden leider oft von Fachleuten als psychisch krank fehldiagnostiziert bzw. unnötig pathologisiert.
Und bekommen damit nicht die Hilfe, die sie brauchen.
Was ist „anders“?
Das Wahrnehmen ist anders, das Denken ist anders – das Gehirn ist anders „verdrahtet“. Geräusche oder Licht z. B. werden oft sehr viel intensiver wahrgenommen, und bei einem „Zuviel“ kann leicht ein sog. „Overload“ entstehen, bei dem die Person mehr oder weniger verwirrt dasteht und für einen kürzeren oder längeren Moment das „Zuviel“ und „zu intensiv“ nicht so schnell – oder auch im Moment überhaupt nicht - verarbeiten kann …2
Interaktion und Kommunikation verlaufen anders, viele haben Schwierigkeiten, nicht-autistische Menschen zu verstehen: Körpersprache, Gefühle und Gedanken anderer wahrzunehmen, kann große Schwierigkeiten bereiten, und das kann verwirren. Manchmal kommt es zu Missverständnissen, wenn eine Bemerkung, die in aller Regel hilfreich gemeint war, stattdessen als unhöflich, unangebracht oder taktlos aufgefasst wird.2
Auffällig ist oft auch eine motorische Ungeschicklichkeit oder Unbeholfenheit …
Was ist noch wichtig?
Konflikte, die bislang nicht erkannt und verarbeitet wurden oder auch alte Traumen, Negativerlebnisse usw. können jederzeit an die „Oberfläche“ kommen und Ängste und Konfliktpotentiale weiter verschlimmern.
Menschen mit Asperger-Syndrom können in gewohnten, vertrauten Situationen nicht auffällig erscheinen, aber wenn diese „alten Wunden“ oder Konflikte durch entsprechende Erlebnisse reaktiviert (‚getriggert’) werden oder sonstige unerwartete Situationen auftreten, kann es zu
- psychoseartigen Chaos- und Verwirrtheitszuständen
- schweren Panikzuständen
kommen. Wenn solche belastenden Situationen länger anhalten, kann sich dies sehr negativ auf das Selbstwertgefühl und die gesamte Lebenssituation auswirken – Depressionen bis hin zu Selbsttötungsgedanken und Suizidversuchen bzw. Suiziden sind dann möglich. 3
Das Asperger-Syndrom kann mit einer Vielzahl von weiteren sog. "Komorbiditäten" auftreten, z. B.:
- AD(H)S
- Lernstörungen (z. B. Legasthenie, Dyskalkulie)
- Nonverbale Lernstörung
- Depressionen
- Angst- und Panikerkrankungen
- Selbstverletzendes Verhalten
- Sprach-, Sprechstörungen
- Zwangsstörungen
- Sucht
- Tics
- Schlafstörungen (Ein-, Durchschlafstörungen, nächtliche Angstzustände)
- Essstörungen (z. B. Untergewicht, Anorexie, Bulimie)
Wichtig zu wissen ist auch, dass Mädchen oder bislang undiagnostizierte Frauen mit Asperger-Syndrom oft nicht auffallen, weil sie – im Gegensatz zu Jungs bzw. Männern – eher mit Passivität reagieren oder gelernt haben, ihre Schwierigkeiten zu „überspielen“.
Viele „Aspies“ gehen ohne Wissen über ihr „Anderssein“ - ihre andere Art der Wahrnehmung, ihr anderes Denken und Fühlen - durchs Leben - gerade vor 1980 Geborene:
Tony Attwood schreibt in seinem neuen Buch, dass es „bald eine riesige Anzahl Erwachsener mit Asperger-Syndrom geben wird, die eine diagnostische Beurteilung suchen, nämlich jene Generation, die bislang keine Gelegenheit hatte, diagnostiziert und verstanden zu werden.“
Wird man sie künftig verstehen?
1In den aktuellen Diagnosekriterien wird v. a. zwischen Frühkindlichem Autismus (Kanner-Syndrom) , Atypischem Autismus und dem Asperger-Syndrom unterschieden. Letztere zeigen sich erst nach dem dritten Lebensjahr.
2„Die Entdeckung von Aspie“ - Kriterien von Carol Gray und Tony Attwood und Tony Attwood „Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom“, Trias-Verlag.
3Ole Sylvester Jorgensen, „Asperger: Syndrom zwischen Autismus und Normalität“, Beltz-Verlag
Siehe auch:
Das Autismus-Spektrum
Dopamin & Co.
Mineralstoffe - Magnesium etc.
Fragen, Fragen, Fragen - Autismus, Schizophrenie, Borderline-Störungen
Zum Weiterlesen
Gedankensplitter - Neuroleptika etc.