Blogbuch-Gedanken …
Psychiatrie
Warum ich eine Reform der Psychiatrie für dringend erforderlich halte -
und dies nicht nur bezogen auf die gängige Praxis der Medikamentierung,
sondern vor allem auch bezogen auf das „Menschenbild“ und auf Diagnosen
Warum Kritik am „Menschenbild“ und an Diagnosen?
Deshalb, weil …
Dieses ‚Menschenbild der Psychiatrie‘ oder vielmehr die abgeleiteten ‚Diagnose-Etiketten‘ entstanden sind in einer Zeit,
- in der Angepasstsein und Gehorsam gefordert wurden und als Ideal/Normal galten,
- als vieles als charakterlich bedingt angesehen wurde (von dem man es heute besser weiß),
- als die jeweiligen „Rollen“ von Mann und Frau eisern festgeschrieben waren und z. B. von weiblicher „Hysterie“ die Rede war (verursacht durch die Gebärmutter, daher auch der Name ‚Hysterektomie‘ für die operative Entfernung der Gebärmutter), traumatisierte Kriegsheimkehrer noch als Schwächlinge und/oder Simulanten abgetan wurden (Gefühle und Empfindsamkeit also nicht erwünscht waren),
- und, und, und …
Und warum Kritik an den Medikamenten?
Unter anderem deshalb, weil …
- Auch viele der heute verwendeten Medikamente in einer Zeit entwickelt wurden, als man um das Zusammenspiel von Nährstoffen, Hormonen und Neurotransmittern etc. nicht viel wusste.
Und Kritik an den Medikamenten auch
deshalb, weil …
Viele Patienten inzwischen darüber berichten,
dass es ihnen nicht gut geht mit diesen Medikamenten.
Dass diese auch dauerhaft nicht helfen,
und sie sich am Ende oft nur noch erbärmlicher fühlen,
und sie große Probleme haben, wenn sie die Medikamente absetzen möchten.
Und warum noch mehr Kritik?
Deshalb, weil …
Menschen in einer Krisensituation Verständnis brauchen,
und kein „Bewertet werden“.
Menschen in einer Krisensituation sollten darauf vertrauen können,
dass es Menschen gibt, die ihnen helfen wollen –
und dies nicht unbedingt (und sowieso auch nicht ausschließlich nur …)
mit Medikamenten.
Und schon gar nicht
mit lebenslänglich anhaftenden ‚Diagnose-Etiketten‘ …
[[ Aus einem Gespräch mit einem Psychiater (2013) …
Ich: Das heißt also, dass man bei mir auch weiterhin, auch wenn ich eine offizielle Asperger- Diagnose habe, immer prüfen wird, ob es nicht doch Schizophrenie ist?
Er: Ja. - Und ich habe mich gefragt, … ]]
... wieder einmal gefragt, ob Psychiater wissen,
was sie einem Menschen (z. B.) mit einer Schizophrenie-Diagnose antun,
und wünschte, sie hätten mir wenigstens gesagt
(oder vielmehr es überhaupt irgendwann bemerkt),
dass ich (u. a.) massive Seh-/Wahrnehmungsprobleme habe …
Ja. Aber man darf wohl alles sein in den Augen von Psychiatern,
nur nicht einfach ein Mensch, der ein Problem hat,
und der (gerade auch in der Psychiatrie …)
ganzheitlich betrachtet werden müsste.
Noch mehr Kritik?
Ja, weil …
Es Vieles und Viele gibt, die daran Schuld haben,
dass diese Welt immer noch und immer mehr zugrunde geht
und lebensunwert wird –
und so sollte doch gerade die Psychiatrie
nicht auch noch beitragen zu diesem „Wahnsinn der Welt“.
Und deshalb ihre Diagnosen und Medikamente ‚updaten‘,
daraufhin prüfen, wo sie tatsächlich hilfreich sind,
- oder wo Diagnosen Menschen nur ihrer Würde berauben, sie stigmatisieren und noch unglücklicher machen (als sie es sowieso schon sind …),
- oder wo Medikamente Gehirne womöglich nur schädigen und dauerhaft das hochkomplizierte Neurotransmitter- und Hormonsystem eines Menschen aus dem Gleichgewicht bringen.
Und weil …
… Psychopharmaka nicht heilen.
Und sie auch nicht zeigen – oder vielmehr ‚lehren‘ -,
wie Leben gelingen kann.
Und sie auch keine Beziehungen heilen.
Aber gerade Beziehungen doch heilen, heil werden sollten.
Weil das Leben so kurz und kostbar und unwiederbringlich ist.
Und weil jedes unglücklich gelebte Leben unendlich traurig ist.
Siehe auch:
Blogbuch
Diskussionsseite
Danke fürs ‚Zuhören‘, und noch ein #Lesetipp:
Paul Watzlawick – „Wie wirklich ist die Wirklichkeit?
Wahn, Täuschung, Verstehen“
27.04.2018
Nachtrag zum Blogbuch-Gedanken …
Psychiatrie
Ein Nachtrag, aus aktuellem Anlass, und weil ich dies eigentlich auch schon lange einmal sagen/schreiben wollte …
Artikel im Reutlinger General-Anzeiger vom 18.05.2018:
„Täter muss in psychiatrische Klinik“
Psychisch krank = gewaltbereit, gewalttätig ?
Nein, bitte nicht immer und immer wieder diese gedankliche „Verknüpfung“ herstellen!
Es wäre hilfreich, wenn bei solchen Vorkommnissen andere Bezeichnungen verwendet werden würden, damit nicht immer und immer wieder die gedankliche Verknüpfung hergestellt wird zwischen
- psychisch krank = gewalttätig/gewaltbereit bzw. potenziell gewalttätig/gewaltbereit,
und insb. nicht die Verbindung von
- Schizophrenie und Gewalttätigkeit.
Weiterhin wäre es hilfreich – sowieso auch angesichts des zunehmend rauer und hässlicher werdenden Umgangstones und der zunehmend auch unhöflicher werdenden Umgangsformen und angesichts von Mobbing -, wenn solche Vorkommnisse auch nicht einfach – für die Öffentlichkeit – damit „abgeschlossen“ werden, dass eine Person (psychiatrisch) diagnostiziert und (medikamentös) behandelt wird.
Stattdessen müsste vorrangig danach gefragt - und es auch näher erläutert werden -, was zu einem solchen Vorkommnis geführt, beigetragen hat, wodurch es letztlich ausgelöst wurde, soweit es sich ermitteln lässt, und nicht immer nur und immer wieder die gedankliche Verbindung hergestellt werden zwischen „psychisch krank = gewalttätig bzw. potenziell gewalttätig/gewaltbereit“.
Und was heißt denn eigentlich „psychisch krank“?
Sind - sogenannte - „psychisch kranke Menschen“ denn nicht in aller Regel sehr verletzliche, verletzte, auch traumatisierte, Menschen?
Es würde unserer Gesellschaft guttun, diesen Aspekt der „Verletzlichkeit“ und Verletztheit stattdessen in den Fokus zu rücken und zu lernen, doch gerade solche Menschen zu schützen und achtsamer mit ihnen umzugehen!
Auch hilfreich wäre, für „forensische Psychiatrie“ eine andere Bezeichnung zu finden, um auch die Verknüpfung
- „psychisch krank = (potenziell) kriminell und gefährlich
nicht weiterhin herbeizuführen. - Bitte darüber nachdenken. Danke.
Siehe dazu auch:
Diskussionsseite – Zuschreibungen
Noch ein Nachtrag
25.05.2018
Noch ein Nachtrag …
Jetzt möchte/muss ich doch noch einmal nachhaken, weil ich mich inzwischen [auch] gefragt habe, wie Psychiatrie eigentlich definiert wird bzw. sich selbst definiert, wie/wo sie ihre Aufgaben sieht, und habe deshalb im Pschyrembel (2007) nachgeschlagen. Und es zeigt sich, dass Psychiatrie eigentlich weitaus mehr beinhaltet als „Verhaltensbeobachtung“ und (psychiatrische) Medikamente.
- Bitte hierzu auch lesen: Blogbuchgedanken – Psychiatrie /FND, /Hemiplegie -
Hier nun also Definition „Psychiatrie“ lt. Pschyrembel:
„Seelenheilkunde; Fachgebiet der Medizin, das alle Maßnahmen zur Diagnose, nichtoperativen Therapie, Prävention, Rehabilitation und lebensbegleitenden Versorgung von Patienten mit psychischen Störungen umfasst;
Teilgebiete sind u. a. Psychopathologie, Pharmakopsychiatrie, biologische Psychiatrie, forensische Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Sozialpsychiatrie bzw. Gemeindepsychiatrie, Konsiliar- und Liaisonpsychiatrie.“
Zum Nachdenken …
.
.
.
Seele | Was ist eigentlich „Seele“?
Bitte lesen bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Seele https://de.wikipedia.org/wiki/Seelengrund
https://en.wikipedia.org/wiki/Soul
|
Psychische Störung | Im Pschyrembel findet sich dazu keine Definition, aber bei Wikipedia ist dazu u.a. zu lesen:
„Die konkrete Kausalkette von Körpervorgängen (Pathomechanismus), die zu einer bestimmten psychischen Störung führt, bleibt aber meist weiterhin unbekannt. Aufgrund dieses mangelnden Ursachenwissens beschränkt man sich momentan stattdessen darauf, möglichst genau Symptome und Symptomkombinationen (Syndrome) zu beschreiben. Dabei wird meist ein multifaktorielles Ursachengefüge angenommen, das in allgemeinen, noch wenig detaillierten Modellen dargestellt wird. Diese Sichtweise entspricht dem heutigen Stand der Wissenschaft, entwickelt sich jedoch stetig weiter. Es ist davon auszugehen, dass sich dieses Verständnis infolge zukünftiger Forschungserkenntnisse zur Verursachung psychischer Störungen noch fortentwickeln wird.“
Link bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Psychische_St%C3%B6rung [Psychische Störung]
|
Psychopathologie | Ist lt. Pschyrembel die Lehre vom Leiden der Seele im Sinne einer Erfassung von Erlebens-, Denk- und Verhaltensweisen eines als psychisch krank geltenden Menschen.
Klassifiziert und gedeutet werden: Bewusstsein, Denken, Orientierung, Affekt, Ich-Erleben, Wahrnehmung, Antrieb, Persönlichkeit, Verhalten.
Dabei werden auch berücksichtigt: Der körperliche Befund und soziale, interaktionelle und kulturelle Aspekte.
Interessantes dazu bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Psychopathologie
|
Biologische Psychiatrie | Ist lt. Pschyrembel das Teilgebiet, das sich mit den somatischen [körperlichen] Entstehungsbedingungen psychischer Störungen (z. B. hirnorganische Veränderungen, genetische, biochemische, hormonale, vegetative und Stoffwechselstörungen) und den unter Umständen daraus resultierenden therapeutischen Konsequenzen befasst.
Wikipedia-Link dazu: S. u.
|
Forensische Psychiatrie | Ist lt. Pschyrembel das Teilgebiet, das sich mit Rechtsfragen befasst, die psychisch Kranke betreffen; dazu gehört u.a. die gutachterliche Stellungnahme zur Frage der Schuldfähigkeit, Unterbringung, Einwilligungsfähigkeit, Geschäftsfähigkeit, Testierfähigkeit und Anordnung von Betreuung nach dem Betreuungsgesetz.
Die Situation in Deutschland: https://de.wikipedia.org/wiki/Forensische_Psychiatrie
|
Konsiliarpsychiatrie (consultation psychiatry) | Ist lt. Pschyrembel das Teilgebiet, das die Beratung nichtpsychiatrisch tätiger medizinischer Fachgruppen hinsichtlich Diagnostik und Therapie komorbider psychischer Störungen umfasst; z. B. bei Suizidalität, Alkoholabhängigkeit, Klärung der Therapiebedürftigkeit psychischer Erkrankungen.
Wikipedia-Link dazu: S. u.
|
Liaisonpsychiatrie (liaison psychiatry) | Ist lt. Pschyrembel ein Modell der interdisziplinären Zusammenarbeit auf somatisch [körperlich] orientierten Krankenhausstationen mit Integration eines Psychiaters in das Arbeitsteam, der an Stationsabläufen (z. B. Visiten, Stationskonferenzen) teilnimmt sowie eigenständige Betreuungsverantwortung und Ausbildungsaufgaben (z. B. Fortbildungsveranstaltungen und Supervision für Pflegepersonal und Ärzte) mit dem Ziel einer verbesserten psychiatrischen Grundversorgung übernimmt.
Wikipedia-Link dazu: S. u.
|
Zu den Begriffen Konsiliarpsychiatrie und Liaisonpsychiatrie bitte lesen bei Wikipedia:
https://en.wikipedia.org/wiki/Liaison_psychiatry
- “The role of the consultation-liaison psychiatrist is to see patients with comorbid medical conditions at the request of the treating medical or surgical consultant or team. Liaison psychiatry has areas of overlap with other disciplines including psychosomatic medicine, health psychology and neuropsychiatry.”
Und bitte auch lesen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Neuropsychiatrie
- „Die Krankheiten, welche in das Gebiet der Neuropsychiatrie fallen, teilen zahlreiche Symptome mit klassischen psychischen Störungen, wobei diese im Falle der neuropsychiatrischen Erkrankungen eine primär organische Ursache haben.“
https://en.wikipedia.org/wiki/Neuropsychiatry
- “… This trend can be seen for many hitherto traditionally psychiatric disorders (see table) and is argued to support reuniting neurology and psychiatry because both are dealing with disorders of the same system.”
https://de.wikipedia.org/wiki/Psychoneuroimmunologie
https://en.wikipedia.org/wiki/Psychoneuroimmunology
https://de.wikipedia.org/wiki/Psychoneuroendokrinologie
https://en.wikipedia.org/wiki/Psychoneuroendocrinology
https://en.wikipedia.org/wiki/Neurological_disorder
https://en.wikipedia.org/wiki/Biological_psychiatry
Nach wie vor und immer mehr denke ich - und nicht nur ich -, dass es gut und sinnvoll wäre und auch dringend erforderlich ist, dass sich die Psychiatrie und ihre Aufgabenstellung (wieder/neu) klar definiert.
Psychiatrie – und auch ganz besonders die Medien, die über Psychiatrie und ‚psychiatrische Vorkommnisse‘ berichten – mögen bitte auch immer berücksichtigen, was Worte bewirken, bewirken können:
- Worte – auch „Diagnose-Worte“ - können heilsam sein und positive Prozesse anstoßen, sie können aber auch beschädigen und zerstören und unsägliche „Abwärtsspiralen“ in Gang setzen.
Und ganz besonders Psychiater sollten dringend lernen, vom Patienten aus zu denken und sich in seine jeweilige Lage versetzen - und insbesondere auch nicht nur das sehen, was „vor Augen“ ist, sondern tiefer blicken. Man sieht nämlich wirklich nur mit dem Herzen gut!
Und da nicht nur ich die Dringlichkeit einer „Psychiatrie-Reform“ sehe, zum Nachdenken noch ein #Lesetipp:
https://www.madinamerica.com/2018/07/professional-delusion/
- “The Story of a Professional Delusion: Do Psychiatrists Believe Their Own Words? - … I think the answer is that psychiatrists are too scared to look at the truth, which is, that they don’t have a model of mental disorder.”
26.07.2018